Indische
Impressionen
Text und
Fotos von Roland Hanewald
Um
Plätze wie die zuvor genannten zu erreichen, nimmt man am besten das
Auto. (Der Dampfzug ist zwar romantisch, aber zeitraubend und
unbequem; mit dem kann man ggf. mal eine Extratour einlegen). Den
Chauffeur miete man gleich mit dazu, denn das indische
Verkehrsgeschehen ist das chaotischste der Welt und für den Outsider
brandgefährlich. Den Wagen kann man in Verbindung mit einer
kompletten Tour nach eigenen Vorstellungen buchen. Das Unternehmen
ist für unsere Begriffe spottbillig.
Überhaupt ist Indien eines der preiswertesten Länder der Welt; ein
gutes Hotelzimmer für 10 Euro gilt als ganz normal. Aber nicht, weil
das Land, so das übliche Klischee, „bitterarm“ wäre. Freilich gibt
es Millionen Dörfler, die von der Hand in den Mund leben. Doch die
indische Mittelklasse ist unaufhörlich im Wachsen. Sie zählt bereits
ein Viertel des Milliardenvolkes und soll bis 2025 die Hälfte
erreicht haben.
Im
Jahre 2039, so die Vorausrechnungen, wird Indien in der Liga der
Nationen ganz vorne liegen, womöglich sogar die USA überflügeln. Vor
allem technologisch schreitet der Subkontinent mit gewaltigen
Schritten voran.
Gottlob geht diese Entwicklung nicht mit einer totalen
Verwestlichung der Bevölkerung einher.
Gewiss,
auf Auto, Fernseher, PC, Handy und nicht zuletzt auch auf die
Mitgliedschaft in einem guten Golfclub will kein Bessergestellter
mehr verzichten, und seine Frau, durchaus emanzipiert, nicht aufs
Makeup, das überhaupt schon in grauer Vorzeit in Indien erfunden
wurde. Gleichzeitig jedoch sind die alten Glaubensprinzipien, an
erster Stelle (80%) des Hinduismus, so aktuell wie eh und je.
Die
zahllosen, bis zu 1400 Jahre alten Tempel werden nicht als Museen,
sondern zu frommer Andacht besucht, und das von großen
Menschenscharen – die im Zeichen der überbordenden Population ja
überhaupt ein Kennzeichen Indiens sind.
Die Vielfalt der Religionen beschert Indien eine kaum überschaubare
Zahl von Festen. Zu den nationalen Feiertagen gesellen sich
unzählige regionale und lokale, die allesamt einen religiösen
Hintergrund haben, aber nicht zuletzt auch den Zweck verfolgen, der
recht ereignislosen und durch das Kastenwesen streng reglementierten
Alltagsexistenz der riesigen Landbevölkerung eine farbenfrohe
Abwechslung zu verleihen.
Dafür
sorgen Umzüge (zumeist mit Elefanten) und Jahrmärkte, Gaukler und
Akrobaten, Feuerwerk und Schauspiele, donnernde Musik und
ausgelassene Speiseorgien.
Nur Alkohol wird bei diesen Anlässen kaum getrunken, denn das ist in
Indien mit wenigen Ausnahmen eher unüblich.
Angesichts
der gewohnten Bilder bedrückendster Armut verblüfft es bei einer
Tour durch das Land der Milliarden Menschen doch schon sehr, immer
wieder, selbst auf den primitivsten Dörfchen, in diese rauschenden
Feste zu geraten, die, so will es scheinen, einem hiesigen Karneval
um nichts nachstehen. Die Buntheit der Prozessionen und
Darstellungen ist überwältigend, der Lärm noch viel mehr, und die
ausgelassene Fröhlichkeit erst recht.
Versteht sich, dass
der staunende Fremde sofort in den Betrieb eingebunden wird und dass
man das wenige, das man hat, mit ihm teilt – zum allermindesten den
Frohsinn.
Dennoch wird uns in Indien trotz seiner Annäherung an westliche
Lebensstandards weiterhin vieles befremdlich vorkommen.
Eine Eigenart sei
gleich erwähnt, denn sie trägt zu ständiger Verwirrung bei: Im
ganzen Süden des Landes schüttelt man energisch den Kopf, um etwas
zu bejahen...!
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