Vidago Palace
Hinter den Bergen ein Palast für Golfer
Vidago empfing mich mit Nieselregen. Er fiel aus tief hängenden Wolken, die aussahen, als hätte ein wütendes Kind sie mit stumpfem Bleistift gemalt.
Mir war das egal, denn ich wollte den Palast und seinen hauseigenen Golfplatz erkunden – eine Adresse, die mir der Greenkeeper vom Oporto Club, dem zweitältesten Kontinentaleuropas (1890) und unbedingt sehenswert, als echten Geheimtipp zugesteckt hatte.
Vidago befindet sich im grünen Norden Portugals, am Rande waldreicher Höhenzüge in der Provinz „Trás-os-Montes“.
Das mit „hinter den Bergen“, so die Übersetzung, sollte man ruhig wörtlich nehmen. Hier spricht man einen eigenen Dialekt, der Landwirt pflügt sein Feld noch mit einem Ochsengespann, und statt auf Touristen trifft man auf Bewohner, die ihrer Heimat aufs Tiefste verbunden sind.
Der Palast war als Ruhesitz für Carlos I. gedacht, der die Fertigstellung aber nicht mehr erlebte.
Es war nicht die Abgeschiedenheit, die der König hier suchte, sondern ausschlaggebend war die Fügung der Natur, dass hier die heißesten Thermalquellen Europas an jeder Ecke aus dem Boden schießen (durchschnittlich 76 Grad). Wenige Tage vor der Eröffnung der Residenz im Oktober 1910 wurde in einem Staatsstreich die Erste Portugiesische Republik ausgerufen, was König Manuel II., der Sohn von Carlos, zwang, ins Exil nach England zu flüchten. Damit war die Monarchie Geschichte.
Eine 9-Löcher-Anlage, gezeichnet von Mackenzie Ross, kam 1936 hinzu und erfreute vornehmlich adelige Gäste aus Großbritannien. Dann zerfiel das Ganze – bis die größte Brauerei des Landes viele Millionen in die Hand nahm, den Platz erweiterte und das darbende Schloss wieder auf die Beine stellte. Die Wiederbelebung fiel mit dem hundertjährigen Jubiläum der Domäne zusammen (2010).
Was heute vor uns liegt, ist eine zauberhafte Spielstätte und ein formschöner Mix aus Parkland-, Open-Country- und Mountain-Course. Basis der offenen ersten Hälfte der Partie sind Wellen, feine Flanken der Fairways und scharf gezeichnete, ziemlich anspruchsvolle Grüns nach USGA-Standard. Dabei wurde offenbar darauf geachtet, die Aura des Schlossparks mit seinem uralten Baumbestand, den Flanierwegen und integrierten Mauerresten zu bewahren.
Stilistische Meisterleistungen begegnet man am 3. Loch, einem Par 3 mit frontalem Wasser, und am 9., mit Bachläufen beidseitig – alles mit lässiger Eleganz hingetupft.
Danach geht es schubweise in die Höhe. Jedes Loch hat seine unverwechselbare Färbung. Aber man bewegt sich auch im tiefroten Drehzahlbereich – und spätestens auf dem 14. Grün, das sich gegen jeden Einheitsbrei stemmt, wird einem bewusst, dass die Strecke „home“ ein einziger wilder Ritt ist, bei dem winzigste Nuancen größte Relevanz besitzen.
Sprichwörtlicher Höhepunkt dieser Sequenz ist Loch 16 (Stroke Index 1), dessen Tee wie alle hier aus Überresten von Steinbrüchen sockelartig aufgebaut ist und sich mit überraschendem Linksschwung im Approach-Bereich in die Tiefe stürzt. Noch dramatischer: das ellenlange 17. Hole (525 Meter), wo es vom höchsten Punkt der Runde auf den niedrigsten geht – das Grün eingerahmt von einem dunklen Waldsaum. Das ehemalige 8. Loch gilt seit fast einem Jahrhundert als das aufregendste der gesamten iberischen Halbinsel.
Die Partie schließt mit einem gleichfalls abfallenden Par 3 (215 Meter) und der Erkenntnis, dass es auch jenseits der bekannten Destinationen höchstes Golf-Glück gibt.
Das Schlosshotel mit seinen 65 Zimmern wurde stilsicher aus seinem Dornröschenschlaf erweckt, ohne ihm die Nobilität früherer Tage zu rauben.Selbst der Anbau, in dem der 3.000 qm große Wellnessbereich untergebracht ist, fügt sich der älteren Fassade. Antikes Mobiliar ist ebenso selbstverständlich wie Teppich-Tapezierungen. Wasser kommt aus der eigenen Therme – und in der schicken Dusche könnte man auch Tango tanzen.
Das Hauptrestaurant schmückt ein Michelin-Stern, das Frühstück wird in der ehemaligen Orangerie serviert – ein einziger Jugendstil-Traum.
Das Haus ist Mitglied von „The Leading Hotels of the World“ und gibt zu vernünftigen Preisen jeder verwirrten Seele Halt.
Tipp: Die Region gilt auch als hervorragendes Weinanbaugebiet. So hat der Rosé des Gutes „Quinta de Micosso“, zwei Minuten von der Domäne entfernt, kürzlich bei einer Blindverkostung in Lyon alle bekannten Namen aus der Provence hinter sich gelassen. Dabei kostet der Wein, der aus der Traube „Bastardo“ gekeltert wird, gerade einmal 12 €.
Text: Hans-Joachim Walter
Fotos: Vidago Palca & Hotel