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Ungarn-Golf
36 Löcher im Knie
Wo golft man am besten im Land der Magyaren? Mein Blick blieb in der offiziellen Auflistung der ungarischen Golfplätze magisch angezogen an einem Parcours namens Kisoroszi (gesprochen „Kischorossi“) haften, ältester des Landes und in der amtlichen Broschüre hochgelobt. Fürwahr. Könnte man sich etwas Idyllischeres vorstellen?
Auf der langgestreckten Insel Szentendre in der Donau gelegen, und zwar dort, wo der große Fluss bei der Provinzstadt Vac (siehe nachstehend) in sein berühmtes „Knie“, d. h. eine Biegung von 90 Grad übergeht, mit bergigen, dicht bewaldeten Ufern und einer Überbrückung mit dem polynesischen Namen Tahitotfalu sowie einer Fähre nach Vac… ach, es ist die wahre Pracht.
Der Kisoroszi GC liegt in der Tat inmitten einer solch herrlichen rustikalen Kulisse, dass sich verschiedene große Namen der internationalen Golfszene, in verschwiegenes Auwaldgrün getaucht, in seinem Umfeld angesiedelt haben.
Nur – die 18 Löcher sind schon seit mehreren Jahren nicht mehr in Betrieb. Es gibt heftige Unstimmigkeiten unter den Anteilseignern, heißt es, die vielleicht bald bereinigt sein sollen, vielleicht aber auch nicht, und ich möchte mich in Geduld fassen, nagyon köszönöm, vielen Dank und schönen Tag noch.
Dies ist nicht untypisch für Ungarn, wo hausgemachte Wirtschaftsprobleme einigen Sand in das Getriebe des einstigen EU-Musterkandidaten gestreut haben.
In Göd, auf dem rechten Schenkel des Donauknies etwa mittig zwischen Vac und Budapest gelegen, erwies sich indes alles wieder im Lot befindlich.
Auch das fünfsternige Golf-Hotel in der Peripherie des Polus Palace Golfclubs war in Betrieb, und die schön angelegten 18 Löcher sowieso.
Wurde auch Zeit, denn man hatte ewig lange daran herumgewerkelt. Besonders beliebt ist dieser Platz wegen seiner schnellen Erreichbarkeit (20 Autominuten) von der Hauptstadt; er liegt von allen ungarischen Plätzen Budapest am nächsten.
Man wird deshalb ständig Geschäftsleuten und Botschaftspersonal von dort begegnen.
Bei meinem Besuch tummelten sich gerade Mitglieder der südkoreanischen Gesandtschaft auf den Greens und hatten, es sind halt, anders als der Bösewicht in den USA, freundliche und höfliche Diplomaten, den größten Spaß daran, fotografiert zu werden.
Zu weiterer Attraktivität des Polus Palace trägt seine naturnahe Gestaltung mit rarer Vegetation bei.
Der ganze Platz mit naturgeschützten Biotopen, schilfumsäumten Teichen und solitären Baumgruppen hat parkartigen Charakter und weist streckenweise eine fast mediterrane Atmosphäre auf.
Die Driving Range („flooded-lighted“!) kontrastiert allerdings diametral mit diesem Ambiente, denn man schlägt gegen ein dichtes Gewirr von Leitungen einer unweit gelegenen Umspannstation ab.
Nun, mal was anderes.
Unter der Woche kann es angenehm einsam auf dem Polus zugehen, doch an Sams- und Sonntagen belebt er sich in unübersehbarem Maße.
So sehr, dass das weitaus zu klein konzipierte Clubhaus schon überquillt.
Aber gottlob ist auf der naturnahen Range (6209 m, Par 72) genügend Platz. Greenfee: ab 10 000 HUF (ca. 40 Euro).
Info: Tel. 0036-27-332864,
E-Mail golf@hu.inter.net.
Deutsch und Englisch werden nicht viel gesprochen, aber die Kommunikation klappt dennoch, weil sich immer ein Kundiger findet, der dolmetschen kann. Man sollte aber auch den Kisoroszi im Auge behalten. Wenn er wieder in Betrieb ist, dürfte er genussreiche Stunden bereiten.
Ruhige Tage am großen Fluss
Wer am Knie der Donau golft, sei es in Göd oder eines Tages auf der Insel Szentendre, der ist mit einem Aufenthalt im rechtsseitig gelegenen Städtchen Vac („Watz“) gut bedient.
Natürlich kann man auch in der unfernen Millionenstadt Budapest logieren, die mit vielerlei Attraktionen lockt.
Doch wem der Sinn nach Entspannung steht, ist in Vac besser aufgehoben. Die Stadt Göd selbst hat wenig Berauschendes zu bieten und weist wegen ihrer Nähe zu Budapest schon Vorortcharakter auf – dorthin fährt man zum Golfen und zu sonst nichts.
Das „Donauknie“, Dunakanyar auf Ungarisch, ist dem mittleren Rheintal nicht unähnlich und gilt als schönster Teil des Donaugrabens in ganz Ungarn.
Genau in der Kurve liegt Vac und setzt all dieser Großartigkeit mit zahlreichen reizvollen Baulichkeiten noch eins drauf. Schon die Römer ließen sich hier häuslich nieder, und im 9. Jh. wurde das Gebiet sogar Königssitz.
„Eine königliche Region!“, pries demgemäß ein englischer Reisender im 19. Jh. die Gegend am Knie, und man wird ihm heute Recht zu geben versucht sein: Sie ist, im Wortsinn, so richtig eine Ecke zum Wohlfühlen. Kein Wunder auch, dass sich im Lauf der Jahrhunderte hier viele Deutsche ansiedelten (und anno 1686 ihren Gastgebern beim Rausschmiss der Türken aus der damaligen „EU“ halfen).
Man wird sich Vacs viele sehenswerte Barockdenkmäler und Kirchen nicht entgehen lassen, zumal sie alle auf den Ortskern konzentriert sind. Kein Vorbeisehen aber auch an Ungarns größtem Zuchthaus am Donauufer. Wie müssen die armen Knackis leiden, ständig diese prächtige Umgebung vor Augen zu haben, aber ihr nicht teilhaftig werden zu können! Der Besucher bummelt dagegen gemächlich am Fluss entlang, der, auf lange Entfernungen von kiesigen Stränden und Auwäldern gesäumt, unbeeilt in Richtung Schwarzmeer dahin zieht. Kleine Lokale warten längs der Route mit Ungarns bekannt guten Gerichten auf, die keineswegs immer höllisch scharf sein müssen und, einschließlich des vorzüglichen Weins, nicht die Welt kosten.
Hübsch auch die Dörfer auf der prospektiven Golfinsel Szentendre, deren südliches Schwanzende bis an die Hauptstadt heranreicht und die von Vac per Autofähre zu erreichen ist. (Der Hochwassersommer 2002 führte auf der Insel zu diversen Problemchen, selbst der Golfplatz erlitt einige Blessuren).
Am jenseitigen Ufer wiederum jede Menge alter Kultur: Burgen, Kirchen, Museen. Ein Stückchen weiter dehnt sich der Duna-Ipoly Nemzeti-Park, ein hügeliges Waldgebiet, das den Budapestern die Wochenenden verschönt.
Hinzu gesellen sich angenehme Hotels und Gasthäuser. Alles in allem ein einladendes Ferienziel, zumal die Stadt (z. B. ab Wien) per Donaudampfer zu erreichen ist.
Nur die Verständigung kann sich schwierig gestalten. Annähernd jedermann und –frau in Vac und Umgebung (überhaupt in ganz Ungarn außerhalb der touristischen Szene, zu der natürlich, wie oben erwähnt, auch Golfplätze gehören) spricht nur eine Sprache: Ungarisch, eine der vertracktesten der Welt, und erwartet vom Besucher, dass er sie gefälligst ebenfalls spreche.
Aber man sollte doch von Herzen froh sein, dass sich der beschriebene Golfplatz in Göd befindet, und nicht etwa in Hajdúböszörmény, Hódmezövásárhely, Kiskunfélegyháza oder Szurdokpüspöki.
Text und Fotos von Roland Hanewald